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Corona im Orient [de]

Wenn eine Kultur sich umkrempeln muss

Corona unterscheidet nicht zwischen Europa und Afrika, zwischen Amerika und dem Orient. Alle Orte und Kulturen sind betroffen. Doch wie reagiert eine Kultur der körperlichen Nähe auf den Appell des «Social Distancing»? Für die arabische Welt ist es eine Herausforderung, den eigenen sozialen Normenkodex zu überwinden. Ob und wie das gehen kann hat SZ.de mit Frau Christiane Elia von der Hochschule Bremen diskutiert. Sie ist Dozentin für Arabisch und Wirtschaftsarabisch und die Ansprechpartnerin für Auslandsaufenthalte in der arabischen Welt. Ihre interkulturelle Kompetenz und ihr landeskundliches Wissen entspringen nicht nur ihrer Berufsausbildung. Elia ist gebürtige Ägypterin und in ihrer Jugend nach Deutschland gekommen. Als Tochter aus einer ägyptisch-deutsche Ehe hat sie heute noch engen Kontakt nach Ägypten und eine Inside-Perspektive auf die arabische Welt.

Interview: Selma Badawi

Frau Elia, momentan Europa ist sehr stark mit sich selbst beschäftigt – Bekommen Sie über die hiesigen Medien überhaupt etwas mit aus der arabischen Welt?

Ich informiere mich ja gerne rund um. Ich lese viel auf arabisch und so erfahre ich am besten von der Situation. Aber auch BBC und ähnliche Formate berichten recht ausführlich darüber – Diese Nachrichten finde ich aber nur dann, wenn ich tatsächlich die arabischen Seiten der Medien aufsuche. Mein Eindruck: Es ist Thema! Es ist das Hauptthema, wie auch in den deutschen Medien.

Wie nehmen Sie die Corona-Krise in den arabischen Ländern wahr?

Ich habe da Gefühl, dass die Warnung aus Europa zwar angekommen ist, aber teilweise nicht richtig wahrgenommen wurde. Erstens war Corona zunächst weit weg und zweitens ist es nicht sichtbar oder greifbar. Das macht es schwierig für alle.

Social Distancing in orientalischen Gesellschaften. Wenn Sie das hören, was denken Sie?

Ich denke: Wie soll das denn gehen?! Wenn man sich das Alltagsgeschehen in einer Megacity wie Kairo ausmalt, da kann man beim besten Willen keine Distanz einhalten. Wenn Sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen, dann sind Sie plötzlich einfach eingepfercht. Wenn Sie in einer Schlange stehen, dann werden da auch keine 2 Meter eingehalten.

Ist Social Distancing in der arabischen Welt dann überhaupt umsetzbar?

Teilweise. Je nach Angstpegel, der im jeweiligen Land herrscht, wird natürlich schon versucht, adäquat darauf zu reagieren. Wir dürfen die arabische Welt auch nicht als homogen betrachten. In einigen Teilen leben Menschen auf sehr engem Raum zusammen, in anderen nicht. Außerdem muss man konkretisieren, über welche Bevölkerungsschicht man spricht. Einige Schichten sind gar nicht in der Lage, ein «Social Distancing» umzusetzen.

Ist das gewissermaßen ein Privileg der oberen Schichten?

Ja, der Oberen und Mittleren, so kann man das sehen.

Stehen der Isolation auch sozialen Konventionen und Bräuche im Wege?

Und wie. Es fängt ja schon mit der Begrüßung an! Man umarmt sich, küsst sich links, küsst sich rechts. Die Golfaraber reiben sich sogar die Nase, wenn sie sich sehr mögen. Wie soll man denn nun miteinander umgehen?

Welche Rolle spielt Respekt im körperlichen Umgang?

Es ist einfach ein Affront, wenn man nicht die entsprechenden körperlichen Gesten zeigt. Die Einhaltung des Social Distancing ist gerade für die älteren Menschen teilweise sehr schwer nachzuvollziehen. Man muss sich bewusst sein, dass die Distanz in der arabischen Welt normalerweise eine sehr kurze ist. Man ist auch nie allein unterwegs. Man ist unter Freunden, man hakt sich unter. Man ist einfach immer im Rudel.

Können Menschen überhaupt so abrupt entgegen ihrer Sozialisierung handeln?

Natürlich ist das schwer. Aber ich habe in meinem persönlichen Umfeld auch die Erfahrung gemacht, dass die Menschen versuchen sehr, sehr diszipliniert zu sein. Sie schotten sich auch teilweise wirklich ab.

Sie sagen «teilweise». Was ist dann mit dem anderen Teil?

Nun, für andere Menschen ist es wiederum kaum nachvollziehbar, warum jetzt kein Besuch stattfinden kann oder warum man sich nicht mal wieder treffen kann. Sie nehmen es nur widerwillig hin, oft mit Unverständnis. Es bedarf sehr viel Feingefühl, um den Menschen die Notwendigkeit und das Ziel näherzubringen.

Wie geht man mit Kranken in der arabischen Kultur um?

Wenn man krank ist, ist es wichtig, dass Familie da ist. Innerhalb der engen Familie, wird man immer für einander da sein, egal was geschieht. Man würde niemals jemanden allein im Krankenhaus liegen lassen. Die Person könnte ja etwas brauchen in der Nacht oder so. Man ist physisch da füreinander.

Auch im Falle von Corona?

Bei Corona würde das sicherlich nicht jeder machen, aber die engsten würden es manchen Fällen auch tun. Zum Glück ist es heute immerhin möglich über Video-Chats Nähe zu schaffen! Derer bedient man sich in der arabischen Welt ja auch sonst gerne und exzessiv. Man ruft immer an, man fragt, wie es geht, ob etwas gebraucht wird. Das erleichtert es etwas.

Reagiert man in der arabischen Welt also letztlich anders als in Deutschland?

Aus meiner Sicht geht es den Menschen eigentlich recht ähnlich.

Ach ja?

Ja, man hat Angst, man vermisst sichEs gibt in Deutschland die Menschen, die das nachvollziehen können, die sich zurück ziehen und eben jene, die es nicht tun. In der arabischen Welt –ich sage das jetzt mal so plakativ, eigentlich müsste man da dringend differenzieren – ist es nicht anders. Nur vielleicht ist das Verhältnis der Lager tatsächlich anders, weil die sozialen Konventionen es erschweren.

Wie wird der Ramadan unter den aktuellen Umständen gefeiert?

Der Ramadan ist eigentlich die Zeit im Jahr, in der Muslime zusammenkommen. Sie ist geprägt vom gegenseitigen Besuchen, dem gemeinsamen Fastenbrechen, dem nächtlichen Beisammensitzen. Das fehlt den Menschen gerade extrem.

Sind die Gottesdienste abgesagt, wie hier?

Klar, die Moscheen sind alle geschlossen. Besonders fatal ist das für die armen Menschen, weil es dieses Jahr keine großen öffentlichen Essensausgaben in den Moscheen gibt. Das ist ansonsten in den Gemeinden einer der wichtigsten, karitativen Dienste.

Was für ein unglücklicher Ramadan! Denken Sie, Deutschland ist als Kultur natürlicherweise besser gegen Corona gewappnet?

Ich finde, das kann man nicht vergleichen. Erstens haben wir in Deutschland eine Mischgesellschaft und wir haben sehr viele Gruppen, die multikulturell geprägt sind. Aber auch wenn ich explizit über das «Deutsche» nachdenke – was auch immer man darunter verstehen mag – dann fallen mir die Vereine ein, die Gemeindefeste, die Kneipenkultur ein. Das sind ganz viele

Punkte, an denen die Menschen sozial aufeinander treffen.

Also kein leichterer Umgang, sondern nur andere Probleme?

Ja. Ich denke, es sind andere Probleme und innerlich ein anderes Gefühl dahinter.

Zudem lese ich leider viele Berichte über junge Leute, die sich bewusst über die Anordnungen hinwegsetzen und sich in privaten Clubs treffen.

Das gilt wenigstens für das öffentliche Leben. Es gibt zwar aktuell auch Ausgangssperren von frühabends bis morgens. Aber was ist mit der Zeit dazwischen? Es sind schon sehr große Herausforderungen.

Wenn man sich mit jemandem unterhält, sind Berührungen einfach dabei. Ich merke das selbst besonders hier in Deutschland, wo das wegfällt.

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