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Freude an einem hilflosen Ort [de]

Erlebnis im Flüchtlingscamp auf Chios

Bennett Smith

Scham fühlte ich, als wir aus dem Auto stiegen. Nach einer langen Reise von der sauberen Schweiz über die Türkei ins Flüchtlingslager auf Chios, fühlte ich nichts als Scham. Unter diesen Umständen müssen Menschen leben, die von einem Horrorszenario ins nächste fliehen. Mit der Hoffnung irgendwann ein besseres Leben zu führen. Doch erstmals sind sie auf dieser Insel gestrandet. Für die meisten hat sich die Situation nicht gebessert. Unmengen an Abfall, mangelnde Hygiene und knappes Wasser sind nur die Spitze des Eisbergs. Ein mit Menschen überfülltes Camp, das nicht in der Lage ist sich zu versorgen, da die einfachsten Kleinigkeiten fehlen. Man fragt sich, was würde ich in dieser problematischen Lage tun. Weit käme man nicht, denn die Politik lässt nur vereinzelt etwas zu. Weder ein weiteres Land aufsuchen, noch zurück gehen stehen zur Option. Ein großes Gefängnis nennt es Mohamed, den wir kennengelernt haben.

„Schnell, schnell, schnell, mach ein Foto von ihm“, ruft Mohamed, der hinter mir im Auto sitzt. Er meint einen kleinen Jungen, der glücklich die steile Straße des Flüchtlingslagers auf Chios mit seinem „Bobby Car“ hinunter fährt. Mohamed ist fasziniert von meiner Kamera und erzählt mir wie er in der Türkei seine eigene Fotoausrüstung hat und auf einen Freund wartet, der sie ihm mitbringt.

Meine Gruppe lernte Mohamed durch die Organisation; Offene Arme kennen. Diese freiwilligen first responder überreichen den Menschen nach der Meeresüberquerung das Nötigste was man zum Leben braucht. Mohamed gehört nicht zu den Freiwilligen. Er ist einer von vielen Flüchtlingen auf dem Camp und bereits das zweite mal hier. Dabei hat er es zu seiner Aufgabe gemacht den verletzten Menschen im Camp zu helfen. Einen Rucksack voll mit Verbänden und Erstehilfe-Zubehör trägt er ständig bei sich. Kleine Wunden und Verbrennungen können so behandelt werden, doch mehr liege nicht drin. Er ist kein Arzt, aber zu Hause in Syrien war er Kriegssanitäter. Seine Fähigkeiten seien somit beschränkt.

Was mir im Gespräch mit ihm auffällt ist sein wiederholendes Lachen. Ich frage ihn ständig nach seiner Geschichte, doch der Gesprächsinhalt führt immer wieder zu Gemeinsamkeiten. Unser Humor trifft sich. Das was ich mir vor Beginn der Reise geschworen habe und zwar nicht persönlich zu werden, habe ich bereits nach kurzer Zeit ignoriert. Es war schön ihn zu sehen wie er mit Begeisterung von Dingen erzählte, die ihn glücklich machten.

Im Gespräch lernte ich, dass der Alltag aus Überleben besteht. Kleine Dinge die Freude machen, finden kaum Platz. Sie wollen Begeisterung, Genuss und Glückseligkeit erleben, doch die Umstände lassen das nur Begrenzt zu. Wie also, kann eine Person in einer hilflosen Situation Freude verspüren?

Gesellschaft

Mohamed und ich verstehen uns so gut, dass ich beim Mittagessen mit ihm, zwei weiteren Flüchtlingen und meiner Gruppe fast vergessen habe, dass sie hier auf der Insel fest stecken. Dabei wird für mich klar, dass in Notsituationen, Freunde und Gesellschaft, einen die Zeit vergessen lassen.

Freude sah ich im Camp erstaunlicher weise mehr als ich gedacht hätte. Um jede Ecke spielten Kinder in kleinen Gruppen. Freude war in ihren Gesichtern zu sehen. Doch Freude sieht man nur in Gemeinschaften. Alleine wird den Leuten klar in welcher Situation sie sich befinden.

Mohamed erzählte mir wie er mit Freunden zum abschalten vom hektischen Leben, in die Stadt laufe. Der Weg dort hin ist eine Stunde und 45 Minuten. Doch es störe ihn gar nicht, ganz im Gegeteil. Das Laufen und die Gespräche mit Begleitung, aber auch alleine, würde ihm Zeit geben um zu träumen. Und in einer misslichen Lage wie seine, würde ihm nicht viel mehr übrig bleiben.

Die Mehrzahl der Menschen ums Camp begrüßte uns mit einem fragenden Blick, man spürte eine gewisse Anspannung. Zu beginn distanzierten sie sich von uns, da Unterstützung nur wenig auftaucht und wenn, dann von freiwilligen Organisationen, die meist aus dem Ausland kommen. Vertrauen zu uns fanden sie nur in der Gruppe und weil wir Arabisch sprachen. Sobald wir anfingen mit einer Person zu reden, kam ein zweiter um die Ecke, ein dritter aus dem Zelt und am Schluss stand ein halbes Duzend Menschen bei uns. Diese Beobachtung zeigte mir, dass Neugierigkeit vorhanden ist.

Meine Begegnungen an diesem Tag ließen mich für ein kleines Bisschen in die Situation der Flüchtlinge hineinversetzen. Man fühlt sich dreckig, es stinkt ständig und es herrscht einen Lärm, der nach einer Weile den Kopf überlastet. Ich war nur für ein paar Stunden hier und konnte mir nicht vorstellen wie ich es fünf Monate ausharren müsste. Die Lage ist traurig und ärgerlich und trotzdem empfinden einzelne Personen Freude. Ich ließ mich auf Mohamed ein und lernte somit einen gleichaltrigen kennen, der Situationen erlebt hat, die ich mir nicht vorstellen kann. Furchtbare Realität und trotzdem sagt er mir beim Abschied er freue sich auf Morgen, wenn wir uns wieder sehen. Und ich sagte: „Salam, ich freue mich.“

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