
Harrison – der Insan (arab.: Mensch) [de]
Gedicht: Mohamed & Selma Badawi
ich bin Harrison
ana Insan (arab.: Ich bin ein Mensch)
ich meine, dass ich menschlich bin
obdachlos
heimatlos
weil Kräfte übermenschlich sind
Schicksalsmächte stärker sind
selbst auf vertrautem Boden bin ich ein Fremder
es ist befremdlich, dass du stärker bist
ich habe es satt hier zu leben, im Schlimmsten aller Länder
auch wenn es stets das Meine ist.
ich reiste und überquerte Abgründe
überwand Mauern und ließ Länder hinter mir
Libyen – oh Libyen, du bist eine Sünde
ich wurde Sklave unter dir
ich erreichte dich in Schmerzen
ausgezehrt, nur mit Hoffnung genährt
ich entfloh dir, doch in meinem versklavten Herzen
trage ich deine Brandmarke, die bis heute währt
Panik
festgenommen im Sahel
gedemütigt – und eingesperrt
am nächsten Morgen bin ich ihr Prellbock
hundert Peitschenhiebe
meine Frau – oh, ich wünschte
Bitterkeit eingeflößt
obdachlos
entfremdet
gebrandmarkt
ich ringe mit meiner Schwangeren
und meinem kleinen Kind
und einem grünen Pass
um Durchgang geschwind
ein Geschrei: Hey du!
steh hier … zeig uns die Zähne
ich zeige ihnen, was du
Schicksal gemacht hast, und gähne
in meinem Schlund steckt Erschöpfung
ich strecke ihnen meine Seele hin
die Brise weht von der Böschung
Sie vermischt sich mit meinem Schweiß
mein Pass ist noch voller Sand
was ich innerlich weiß,
ich halte nichts in meiner Hand
durch die Augen des Rechtstaates
verschlossen die Türen hinter meinem Rücken
und sagten: Das Boot ist voll!
sie ließen mich jenseits der Brücken
schreiend tönen, gellen, folgten mir ihre Stimmen
setzt dich dort hin!
wo ist dein blauer Pass?
das älteste Symbol deines Landes sollst du bringen!
warum, du Narr?
ich diskutiere mit ihnen …
gesenkten Hauptes
ich bin Harrison
ana Insan
ich meine, dass ich menschlich bin
obdachlos
heimatlos
weil Kräfte übermenschlich sind
Schicksalsmächte stärker sind
ich reiste und überquerte Abgründe
überwand Mauern und ließ Länder hinter mir
Libyen – oh Libyen, du bist eine Sünde
ich wurde Sklave unter dir
ich erreichte dich in Schmerzen
ausgezehrt, nur mit Hoffnung genährt
ich entfloh dir, doch in meinem versklavten Herzen
trage ich deine Brandmarke, die bis heute währt
ich trotzte in Schlauchbooten den hohen Wellen
schmerz kann wachhalten und antreiben
ich hungerte und flehte den hellen,
blauen Himmel an, bei mir zu bleiben
damals habe ich die Quintessenz meines Lebens
dem Schicksal anvertraut
ja sogar verscherbelt
und wie mich selbst in die Sklaverei verkauft
wir Flüchtlinge sind Sklaven des Schicksals
für immer gebrandmarkt mit Angst
im seltenen Moment eines Glückfalls
zeigst du, dass du sie betäuben kannst
ich überquerte Wüsten und Dünen
quer durch Afrika … durch
flammen, Höllentore
zu Fuß, mein Kind auf dem Rücken
die Sonne peitscht gnadenlos
wach- und Suchhunde bellen
die Augen meiner Kinder werden groß
ihre Schreie gellen
die Zunge der Wahrheit ist
gescheitert
soll ich doch fragen?!
meinten Sie meinen Reisepass?
stotterte ich
zögerte
habe Tränen gegossen …
er ist weg … ja, alles ist weg
… die Männer auf der anderen Seeseite
ich sage: Es ist mir egal
ich bin es leid!
selbst der Herr des Universums
hat kein Mitleid
die Morgendämmerung bringt
die ersehnte Botschaft
meine Freunde rufen mich
ich höre ihre Schreie!
sie wärmen, stützen, beleben mich
mein Herz hörte ihre Schreie:
wir werden dich nicht sinken lassen
hey Harrison, mach dir keine Sorgen
das Schicksal
hat die Quintessenz
deines Lebens sicher geborgen
wir haben uns in Konstanz versammelt
dein Herz ist uns nicht egal
anta Insan (arab.: Du bist ein Mensch)
mach dir keine Sorgen
ya Harrison