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Saudi-Arabien [de]

Wer hat Angst vor Prinzessin Basmah?

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman hat mit Trump seinen wichtigsten Beschützer verloren. Dissidenten nutzen die neue Situation, um Front gegen die Herrschenden in Riad zu machen. Nun droht Ärger wegen einer verschwundenen saudischen Prinzessin. Von Jannis Hagmann

Es lief schon besser für Mohammed bin Salman. Seit dem Präsidentenwechsel in Washington vergeht kaum eine Woche ohne Negativschlagzeilen über MBS, Saudi-Arabiens 35-jährigen Kronprinzen, der in Riad die Regierungsgeschäfte führt. Kaum im Amt, veröffentlichte Joe Biden erst einen Geheimdienstbericht, der MBS für die Tötung des saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi verantwortlich macht. Nur Tage später reichte die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen Strafanzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beim deutschen Generalbundesanwalt ein.

Und nun droht auch noch Ärger im Fall einer weggesperrten Prinzessin und ihrer Tochter. Ermutigt durch die Abwahl Trumps suchen deren Helfer die Öffentlichkeit. Vor allem in Großbritannien sorgt der Fall für Aufmerksamkeit. „Beide wurden im März 2019 in Jeddah entführt“, sagt Henri Estramant, der die beiden politisch berät und in London sowie in Washington jetzt auf Einmischung dringt. „Seitdem werden sie in einem Hochsicherheitsgefängnis für Terroristen willkürlich in Haft gehalten.“ Die Prinzessin, meint Estramant, „ist eine politische Gefangene.“

Basmah bint Saud bin Abdulaziz Al Saud ist eines von mehr als hundert Kindern von König Saud, der das Land bis 1964 regierte. Einige Zeit vor ihrer Festnahme war die heute 58-Jährige aus London nach Saudi-Arabien zurückgekehrt, sie verbrachte aber weiter viel Zeit im Ausland.

„Prinzessin Basmah äußerte sich sehr offen“, beschreibt Estramant ihren politischen Standpunkt, „sie ist nicht gegen das Regierungssystem in Saudi-Arabien, aber sie hat bestimmte Dinge kritisiert, die ihrer Meinung nach die Grenzen der Menschenwürde überschreiten.“

Aus Basmahs Zeit in London etwa stammt ein Interview mit der BBC. Darin fordert die Prinzessin, Saudi-Arabien in eine konstitutionelle Monarchie umzuwandeln und Menschenrechte wie auch die Gleichheit von Männern und Frauen in der Verfassung festzuschreiben. Auch den saudischen Krieg im Jemen sehe sie kritisch, sagt Estramant.

Öffentlich wurde Basmahs Festnahme vergangenes Jahr. Seitdem haben britische Medien nachgezeichnet, was im Februar 2019 – wenige Monate nach der Zerstückelung von Khashoggi in Istanbul – geschah. Ein geleaktes Überwachungsvideo zeigt sogar, wie vor der Festnahme bewaffnete Männer in der Villa der Prinzessin auf sie warteten. Eigentlich wollte Basmah für einen Klinikaufenthalt in die Schweiz aufbrechen, stattdessen landete sie mitsamt ihrer Tochter Suhoud al-Sharif im Ha‘ir-Gefängnis in Riad.

Interner Machtkampf

Basmah ist nicht das einzige Mitglied der weit verzweigten Königsfamilie, das im Gefängnis sitzt. Eine genaue Zahl habe er nicht, sagt Adam Coogle von Amnesty International, doch würde er auf ein Dutzend mindestens tippen. Der prominenteste Prinz hinter Gittern ist Mohammed bin Nayef, der selbst König werden sollte, bevor MBS sich von seinem Vater 2017 an erste Stelle der Thronfolge setzen ließ.

Dass in Washington viele bis heute lieber Bin Nayef an der Macht in Riad sähen, ist ein offenes Geheimnis. Doch danach sieht es nicht aus: Unter Putschvorwurf ließ MBS Bin Nayef vergangenes Jahr verhaften. Andere Prinzen, die MBS 2017 im Ritz Carlton in Riad einsperren ließ, sind wieder frei, von vielen war aber nie wieder etwas zu hören.

Dieser Machtkampf spielt offenbar auch im Fall Basmah eine Rolle. „Verschiedene Dinge kommen hier zusammen“, sagt eine Person gegenüber Qantara.de, die der Prinzessin nahesteht, aus Sicherheitsgründen aber um Anonymität bittet. Basmah habe „engen Kontakt und ein gutes Verhältnis zu Mohammed bin Nayef“ gehabt. Von MBS und seinen Leuten, so die Quelle, sei sie „eindeutig als Bedrohung gesehen“ worden. Außerdem habe es Streit um das Erbe ihres Vaters gegeben; und schließlich sei sie, als Prinzessin aus einem anderen Familienzweig, die sich kritisch äußert und international vernetzt ist, unbequem gewesen.

Letzteres sieht auch die Dissidentin und Sozialanthropologin Madawi Al-Rasheed, Gastprofessorin an der London School of Economics, als Hauptgrund für Basmahs Festnahme. „Es ist eine Schlacht zwischen Prinzen und Prinzessinnen“, sagt sie. „Einige Prinzessinnen, deren Loyalität zu MBS nicht infrage steht, werden befördert und zu Botschafterinnen gemacht, andere, deren Meinung nicht der offiziellen Linie entspricht, werden ins Visier genommen.“ Für Al-Rasheed ist das ein Zeichen für eine Implosion des Regimes; der innere Kreis beginne sich gegenseitig zu eliminieren.

Von Basmah ist seit vergangenem Jahr nichts zu hören gewesen. Auf Nachfrage von Qantara reagierte die saudische Botschaft in Berlin nicht. Die saudische Vertretung bei den Vereinten Nationen hat in der Vergangenheit abgestritten, dass Basmah und Suhoud entführt wurden und ohne Anklage festgehalten werden. Beide säßen wegen krimineller Machenschaften in Haft. Basmah habe versucht, das Land illegal zu verlassen, Suhoud habe einen Staatsangestellten attackiert – Vorwürfe, die Estramant so nicht stehen lassen will: Nach saudischem Recht dürfe niemand länger als 180 ohne Anklage festgehalten werden, sagt er. Allein deshalb müssten beide längst frei sein.

Die anonyme Person, die der Prinzessin nahesteht, setzt nun darauf, dass unter Biden das Thema Menschenrechte wieder an Gewicht gewinnt. Schon unter Trump hätten Basmahs Unterstützerinnen und Unterstützer Kontakt nach Washington aufgenommen. Bewegt habe sich aber nichts. “Ich hoffe jetzt, dass die beiden frei sind, wenn der Ramadan kommt.“ Der Fastenmonat beginnt dieses Jahr Mitte April.

Starkes Gegennarrativ

Sollte das Paar hinter Gittern bleiben, könnte dies für MBS unangenehm werden. Der Fall passe gut in das Gegennarrativ, das Dissidenten und NGOs im Ausland der Erzählung der saudischen Führung entgegenstellen, sagt Sebastian Sons von der Denkfabrik Carpo in Bonn. Für sie sind MBS und das Königshaus bestenfalls Modernisierer, aber nicht die Reformer, als die sie sich verkaufen. „Diese regierungskritischen Gruppen haben sich in den letzten zwei Jahren extrem gut organisiert und sind sehr sichtbar geworden, in Großbritannien, in den USA, aber auch in anderen Ländern“, sagt Sons im Gespräch mit Qantara.de.

Wie sehr ein individueller Fall hochkochen kann, zeigt das Beispiel der Frauenrechtsaktivistin Loujain al-Hathloul. Nach mehr als tausend Tagen in Haft wurde sie nach einer jahrelangen Kampagne ihrer Helfer im Februar entlassen. Gegen ihre Bewährungsstrafe und ein fünfjähriges Ausreiseverbot ging sie rechtlich vor, scheiterte am Mittwoch (10.03.) allerdings vor Gericht. „Der Fall Basmah geht in die gleiche Richtung“, sagt Sons, auch wenn die Causa aufgrund von Basmahs Zugehörigkeit zur Königsfamilie anders gelagert sei.

Auch in Deutschland versuchen saudische Aktivistinnen und Aktivisten Gehör zu finden. Auf Einladung der in London ansässigen saudischen Menschenrechtsgruppe ALQST traf sich Anfang des Monats Al-Hathlouls Schwester Lina mit Bundestagsabgeordneten fast aller Fraktionen. Vergangene Woche forderten dann Dutzende von Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Deutschland, Großbritannien und Irland die saudische Führung auf, alle inhaftierten Aktivistinnen freizulassen. Das allein dürfte niemandem in Riad schlaflose Nächte bereiten, aber: „Da ist mittlerweile eine starke Front entstanden, die man nicht mehr kontrollieren kann, indem man alle mundtot macht“, sagt Sons, „dafür ist die Masse zu groß.“

Auch in der Strafanzeige von Reporter ohne Grenzen sieht Sons eher ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Der Schritt ist international auf Interesse gestoßen, da in Deutschland derzeit ein weltweit einmaliger Prozess gegen Angehörige des syrischen Regimes läuft, der Neuland in Sachen Völkerstrafrecht betritt. Dass der Generalbundesanwalt aber tatsächlich ein Verfahren gegen MBS eröffnen wird, ist unwahrscheinlich. „Es geht vermutlich eher darum, ein politisches Signal an die Bundesregierung zu senden, aber auch an andere Verbündete Saudi-Arabiens“, betont Sons.

Um Prinzessin Basmah frei zu bekommen, setzt Henri Estramant derweil vor allem auf Druck aus London und Washington. In einem Brief an den britischen Außenminister hat er um Intervention gebeten.

Vergangene Woche informierte er auch die US-Administration, dass Basmah – offenbar wegen Verdauungsstörungen – in eine Klinik eingeliefert wurde. „Die Prinzessin ist eine friedliche Aktivistin, Mutter und bescheidene Geschäftsfrau“, heißt es in dem Schreiben, das Qantara.de vorliegt. „Wir schließen daraus, dass sie wegen der engen Verbindungen inhaftiert wurde, die sie zum ehemaligen Kronprinzen Mohammed bin Nayef hatte.“

Keine Sanktionen gegen MBS

Dass Basmahs Helfer in den USA Gehör finden, ist nicht ausgeschlossen. Biden hat klargemacht, dass es unter ihm mit Washingtons Freifahrtschein für den autoritären Jungspund in Riad vorbei ist. Ganz so entschlossen allerdings, wie er sich im Wahlkampf aufgeführt hatte, handelt er seit Amtsantritt nicht. Zwar ließ er den eingangs erwähnten, unter Trump zurückgehaltenen Bericht veröffentlichen, wonach MBS „höchstwahrscheinlich“ persönlich in den Khashoggi-Mord verwickelt war. Doch von direkten Sanktionen gegen MBS sieht auch Biden ab.

Stattdessen verhängte Washington im sogenannten „Khashoggi Ban“ Einreisebeschränkungen gegen 76 andere Saudi-Araber. „Biden ist eine halbe Meile gegangen und dort stehen geblieben“, sagt Al-Rasheed, „er macht genug Lärm, um MBS Angst einzujagen, muss aber die eigenen nationalen Interessen berücksichtigen.“ Sons erinnert daran, dass MBS auch Chef des gigantischen saudischen Nationalfonds ist, der bis 2030 zum größten Staatsfonds der Welt ausgebaut werden soll. Dieser investiere intensiv in den USA, weshalb Sons persönliche Sanktionen gegen MBS für ausgeschlossen hält.

Dennoch ist der Druck auf MBS gestiegen, zumindest die international beachteten Skandalthemen vom Tisch zu räumen. Loujain al-Hathloul hat – im Gegensatz zu vielen anderen verhafteten saudische Aktivistinnen und Aktivisten – bereits davon profitiert. Prinzessin Basmah könnte die nächste sein. Für MBS wäre es eine Chance, seinen durch das Khashoggi-Gemetzel demolierten Ruf zumindest teilweise wieder herzustellen.

Jannis Hagmann

© Qantara.de 2021

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